Die Geschichte Östanbys


Die Trennung

Ah, Wanderer, willkommen in meiner Kothe. Setzte dich doch und nimm einen schluck von meinem köstlichen Gebräu. Lecker nicht wahr?
Du fragst warum ich hier mitten in der Steppe so ohne Sorge sitze und einen fremden aufnehme? Ach, wieso sollte ich Angst haben, im Osten werden wir durch die Stadt Östanby geschützt und von Westen erwarten wir keine Angriffe durch das dreckige Petschenegenpack. Naja, und wenn jemand leichtsinnig genug ist hier alleine herumzuziehen, den wird die Steppe schon genug gestraft haben wenn ich ihn finde.
Jetzt fragst du dich sicherlich warum wir gerade hier leben in dieser unwirtlichen Gegend.

Nun, das ist eine lange Geschichte, aber wir haben ja die ganze Nacht Zeit, also mach es dir gemütlich und höre zu. So wie du redest kommst du mit Sicherheit aus Harsum und deswegen ist dir der 1. Petschenegensturm sicherlich ein Begriff. Was aber wenige in der alten Heimat wissen ist, was sich danach ereignete.
Der damalige Jarl wurde in der Schlacht in der wir den Abschaum endgültig zurückdrängten schwer verwundet und erlag diesen starken Bluten schließlich, sodass sein jüngerer Bruder die Nachfolge antreten musste.
Dieser beschloss, um weitere solche Disaster zu verhindern, die Ureinwohner, die, wie du sicherlich weißt, eigentlich alles über sich ergehen lassen ohne zu murren, in den Mienen noch weiter antreiben zu lassen. Durch das dadurch gewonnene Silber wollte er sich besser Ausrüstung für seine Mannen leisten.
Anfangs klappte das auch ganz gut und er scheffelte viel Silber. Doch nach einer Weile fielen immer mehr Mienenarbeiter den starken Anstrengungen zum Opfer.
Als einer seiner Hersire, Glossi Tjörvisson den Jarl darauf aufmerksam machte redete dieser mit solch einer Verachtung über die schuftenden, dass der Hersir in Rage geriet und den Jarl beleidigte, wodurch es zum Duell zwischen den beiden.

Hey, hörst du mir noch zu? Wir waren früher glücklich wenn uns der Älteste Geschichten aus der alten Zeit erzählt hat. Aber das klagen hat wohl wenig Sinn und ich fahre nun besser fort mit der Geschichte.

Also, unser Hersir hatte den Beinahmen der Wolf, da er nur eine kleinere Gefolgschaft besaß die auf dem Schlachtfeld wie ein Rudel Vargs umherzog und abgetrennte feindliche Kräfte einkreiste und vernichtete. Dadurch hatte er sich viel Ruhm in den Schlachten gegen die Petschenegen erworben.

Der Jarl hingegen war noch recht jung, doch hatte er seit seiner frühesten Jugend Unterricht durch all die großen Hersire genossen, auch durch Glossi, sodass er sein Verhalten im Zweikampf in etwa kannte und ihn mit den Techniken die er von den anderen Hersiren gelernt hatte besiegen konnte.
Niedergeschmettert durch die Schande der Niederlage bat Glossi den Jarl darum ihn nun, da er tapfer gefochten hatte, endgültig nach Valhall zu senden wo er mit den tapferen Gefallenen aus seiner alten Gefolgschaft an der Tafel sitzen konnte und vom besten Met und dem besten Fleisch kosten konnte.

Doch der Jarl wollte seinen alten Lehrmeister nicht umbringen und stellte es ihm so frei in Harsum zu bleiben oder fort zu ziehen in die Steppe im Osten, hier ins heutige Östanby.

Da er in Harsum ständig an seine Niederlage erinnert worden wäre beschloss er als schweren Mutes auszuziehen und so begab er sich mit einer kleinen Gruppe von Männern nach Osten ohne zu Wissen was ihn erwartete und mit der Wut im Bauch womöglich ohne sein Schwert in der Steppe zu verrecken. Er schwor sich, den Menschen in Harsum niemals wieder zu helfen, da auch der Jarl ihm
die Hilfe versagt hatte und ihn nicht nach Valhall einziehen ließ.
So wanderten die tapferen Mannen also nur mit wenigen Pferden einige Tage als sich die schweren Rüstungen mit denen sie ausgestattet wurden als erstes Hindernis auf ihrem Leidensweg herausstellten. Sie hinderten sie am gehen und heizten sich in der Glut der Mittagssonne schnell auf, sodass sie in dieser Zeit nicht weitergehen konnten.
Schließlich beschlossen sie also diese schweren Ausrüstungsgegenstände zurückzulassen und sie marschierten größtenteils mit nichts außer ihrer Tunika am Körper weiter.

Doch damit nicht genug. Oft konnten sie Sol am Himmel sehen wie sie vor Sköll, dem Wolf flüchtet und wie sie Hati, dem anderen Wolf aus der Riesen Geschlecht hinterhereilt, der ihren Bruder Mani packen will.

Ihre Wasservorräte gingen zur Neige und beinahe hatten sie schon mit ihrem Leben abgeschlossen in der Gewissheit die Ewigkeit in Hel verbringen zu müssen als Glossi in der Ferne auf einem kleinen Hügel einen Steppenwolf erspähte.

Er fühlte sich fast magisch angezogen von diesem Tier und kroch mit letzter Kraft zu ihm. Seine Männer, denen es kaum besser ging folgten ihm dabei. Auf der Anhöhe angekommen drehte sich der Wolf plötzlich um und lief weg, wobei er plötzlich im Nichts verschwand.
Als sie sich dann umsahen, bemerkten sie einen kleine Quelle, die hinter dieser Anhöhe gelegen hatte und voller Freude und mit allerletzter Müh schufteten sie sich ans Wasser um einen Schluck dieses kühlen Nasses zu sich zu nehmen.

Es mag zwar nicht so gut geschmeckt haben wie das, was du gerade in deiner Hand hälst Jüngling, aber ich denke sie waren zu diesem Zeitpunkt nicht allzu wählerisch.

Heute sagt man sich, dass der Wolf Loki war, der Hel einen Streich spielen wollte und ihm diese tapferen Mannen in seiner Unterwelt nicht gönnte.

Naja, wie dem auch sei, auf jeden Fall wollten sie sich dann erst mal einen Ruhetag gönnen, den sie auch bitter nötig hatten.
Als sie sich dann am nächsten Morgen weiter auf den Weg machen wollten, in der Hoffnung dort auf einen fruchtbaren Boden zu stoßen bemerkte einer von Glossis Männern in der Ferne einige schwarze Umrisse am Horizont die sich scheinbar auf sie zu bewegten.
Der Hersir wusste nicht, was sich hinter diesen Umrissen verbergen konnte und befahl deshalb, dass sich seine Männer für einen Kampf wappnen sollten.
Doch während sich die Umrisse immer weiter näherten wurde offensichtlich, dass es sich hierbei ganz sicher nicht um eine Truppe von Kriegern sondern vielmehr um eine umherziehende Gruppe von Nomaden handelte.
Ziegen.
Merkwürdigerweise schienen sie gar keine Angst vor den bewaffneten Harsumern zu haben und marschierten einfach weiter auf sie zu.
Nachdem sie sich so eine Weile genähert hatten, beschloss der Hersir, dass von diesen Menschen wohl keine Gefahr ausging und befahl die Waffen sinken zu lassen.

Die Nomaden aber, zeigten keine größere Reaktion auf das Verhalten der Harsumer und zogen einfach an ihnen vorbei um ein paar Meter weiter an dem Fluss ihr Lager aufzuschlagen.
Doch der Hersir konnte diese Sache natürlich nicht so auf sich beruhen lassen, denn er sah zum ersten Mal die Möglichkeit doch noch in dieser kargen Einöde zu überleben.
Als er sich also in das Lager aus Zelten begab, um zu erfahren was diese Menschen hier her führte und woher sie kamen, musste er zu seinem Bedauern feststellen, dass keiner der Männer dort seine Sprache sprach.
So wollte er schon gesenkten Hauptes wieder abziehen, als ihm einer der Nomaden durch eine Geste zum Bleiben aufforderte. Glossi wunderte sich warum er wohl bleiben sollte doch als er sich umsah wurde ihm auf einmal klar: er war zu einem Festmahl eingeladen worden.
Seine Männer wurden zu ihm geführt und man brachte sie an eine große Tafel. Es gab leckeres frisch geschlachtetes Ziegenfleisch, feinste Käsespeisen und ein köstliches Getränk, dass Glossi allerdings nicht einzuordnen wusste.
Von der Tafel das Jarls war er zwar noch besseres gewöhnt, doch nach der langen und entbehrungsvollen Reise, fühlte er sich auf diesem Festmahl wie in Wallhall.
Sie feierten, tranken und lachten die ganze Nacht hindurch und obwohl sie sich nicht mit Worten verständigen konnten, hatten sie doch jede Menge Spaß zusammen.
Glossi selbst wurde in die Nähe des Anführers der kleinen Nomadensippe gesetzt und im Laufe des Abends konnte er mit viel Mühe herausbekommen, dass dieser Anführer anscheinend einen Mann kennen würde, der die Sprache von dem Hersir beherrscht. Außerdem konnte er mit dem Anführer ausmachen, dass er Glossi zu diesem Mann führen würde.
So brach dann also die Harsumer mit der Nomadensippe am nächsten morgen auf.
Nach mehreren Tagen der Reise, die ihnen aber viel leichter fiel, jetzt wo sie gestärkt waren, gelangten sie schließlich zu einer Zeltstadt die viel größer war, als das kleine Nomadenlager, auf dass sie in der Steppe trafen.
Dort brachte man sie direkt zu einem kleinen unscheinbaren Zelt, in dem ein alter Mann wohnte und tatsächlich sprach er unsere Sprache.
Erfreut endlich wen gefunden zu haben, mit dem er sich über diesen Landstrich unterhalten konnte redete Glossi bis tief in die Nacht mit dem alten Bergathor, so hieß nämlich der Mann, und erfuhr so einiges über das Land und seine Bewohner.

Aber das ist es ja nicht, worauf ich mit meiner Geschichte hinaus will sondern ich wollte dir ja von der Trennung erzählen und wie es zu dem gekommen ist, wie es heute ist. So viel sei aber gesagt: Glossi und seine Männer wurden freundlich aufgenommen und beschlossen vorerst in Östanby, wie Glossi die Stadt vorerst genannt hatte, zu bleiben.
Nach und nach etablierten sich die Nordmänner in die Gesellschaft der Nomaden und wurden wohlwollend aufgenommen.
Doch leider blieb nicht alles so friedlich.
Eines Tages brachten Späher, die die Stadt regelmäßig aussandte die Nachricht von einer Petschenegenbande, die sich von Osten her der Stadt näherte. Die Menschen in Östanby gerieten in große Aufruhe weil sie Bauern, Jäger und Sammler waren, keine Krieger und Glossi merkte, dass er die Sache in die Hand nehmen musste.
Er hatte sich bis dahin einen Namen als freundlicher und hilfsbereiter Mensch gemacht und beherrschte mittlerweile auch die Sprache der Nomaden ein wenig, sodass er bei dem Stadtvorsteher vorsprechen konnte und ihn darum bat ihm das Kommando über die Stadtverteidigung zu übergeben.
Da der Oberste wusste, dass dies wohl die einzige Rettung für die Stadt war ließ er Glossi gewähren.

So machte sich unser Hersir also sofort an die Arbeit und ließ mit den wenigen Holzresten die es in Östanby gab so gut wie es ging eine Befestigung errichten, die es ihnen ermöglichte sich hinter einen einigermaßen annehmlichen Schutz zurückziehen zu können.
Die Späher berichteten in den nächsten Tagen, wie die Petschenegenhorde sich immer weiter in Richtung der Befestigungen bewegten und keine Anzeichen machten eine andere Marschroute zu wählen und so kam es dann am ersten Thorsdag des Scheiding 55B
zu einem Zusammenstoß mit den wilden Horden.
Unsere Mannen kämpften tapfer und durch das gute Training und die Schnelligkeit ihrer Pferde gelang es ihnen dadurch, dass sie, gleich dem Falken der über dem Feld kreist und auf seine Beute herunterschießt und wie die Wölfe die den schwächsten Teil einer Herde isolieren und dann reißen, den petschenegischen Angreifern große Verluste zuzufügen, doch es waren sehr viele, sodass die
einzige Möglichkeit ein Rückzug hinter die Palisaden von Östanby waren.

Auch wenn, und jetzt hör mir gut zu mein Junge, denn das ist etwas was ihr Harsumer noch lernen müsst, auch wenn die Petschenegen verrohte Wesen ohne jede Ehre sind, so sind sie doch starke Kämpfer, die mit ihrer rohen Gewalt viel Zerstörung anrichten können. Ich weiß wovon ich spreche denn ich verteidigte selbst unsere Ostgrenze gegen die Horde, genauso wie es jetzt andere Jünglinge in deinem Alter aus unseren Kreisen tun.
So beschloss der Anführer der Petschenegen damals die Stadt zu belagern immer mit möglichen Schätzen oder der irgendwelchen abartigen Trophäen im Blick. Ständig stürmten die Petschenegen gegen die Palisade vor, doch immer wurden sie unter hohen Verlusten zurückgedrängt.
Glossi wusste, dass dies eine gute Möglichkeit gewesen wäre sich bei den Göttern wieder Ansehen zu verschaffen und sich einen Platz an der großen Tafel in Valhall zu sichern, doch er wusste auch, wenn er bei einem Ausfall fallen würde und die Petschenegen dabei nicht vollständig aufgerieben würden, wäre Östanby verloren.
Die Menschen in dieser Stadt hatte er durch ihre Gastfreundschaft bereits sehr lieb gewonnen und wollte sich nicht den Feinden ausliefern. Lange haderte er mit sich selbst was zu tun war bis er schließlich schweren Herzens den Entschluss fasste, dass sie auf Hilfe angewiesen waren und das die einzige Hoffnung in Harsum lag.

Seine Männer waren froh, dass sich ihr Anführer so entschieden hatte, denn viele von ihnen hatten sich bereits durch den Goden Baugur Baldinson, der immer mit Glossi gereist war, mit Einheimischen verbinden lassen und in den Bäuchen einiger dieser Damen wuchs bereits ein neuer Mensch heran.

Schnell fand sich ein Freiwilliger der als Bote den Hilferuf nach Harsum bringen sollte. Gambur Villingurson, dessen Name noch heute auf dem großen Stein mitten in Östanby steht, der die Geschichte der Stadt erzählt, wie ich sie dir gerade erzähle, ritt, mit nichts weiter als etwas Verpflegung und den Kleidern die er am Leibe trug, los und durchbrach durch ein geschicktes Manöver bei Nacht
den Ring der Petschenegen, sodass der Weg nach Harsum zwar weit, aber wenigstens frei war.

Die Wochen, die Östanby durchhalten musste, vergingen, so sagen die alten Geschichten, länger als jede Zeit die wir uns vorstellen und viele mussten noch ihr Leben lassen, doch schließlich waren die Banner des Jarls am Horizont zu sehen dessen Truppen die petschenegischen Truppen angriffen.
Die letzten Krieger, die noch in der Stadt waren unterstützen dies durch einen letzten Ausfall und Glossi stand ganz an der Spitze des Sturmes. Viele kämpften nur noch mit ihrer Axt oder dem Sax in der Hand, da jegliche andere Ausrüstung durch die lange Belagerung schon geborsten ward.
Selbst die Waffen die sie in diesem Kampf führten, waren kaum mehr in einem Zustand in dem man sie unter normalen Umständen noch benutzt hatte.
Glossi selbt brach die Axt in der Hand, durch die grobe und schartige Waffe eines Petschenegen und er zog sich eine schwere Verletzung an seinem Schwertarm zu.

Man erzählt sich, dass in diesem Moment ein Moment der Stille zwischen den beiden Kämpfenden herrschte als Glossi dem Verursacher der Wunde auf dem, mit rotem Blut der Nordmänner und dem schmutzigen Blut der Petschenegen getränkten, von der Abendsonne in ein bedrohliches Rot getauchte Schlachtfeld in die Augen sah.
Mit einem gewaltigen Schrei stürzte er sich auf seinen Gegenüber und ein es entbrannte ein Ringkampf zwischen Nordmann und Petschenege, wie es ihn noch nie zuvor gegeben hatte.
Unser Hersir warf seinen Kontrahenten zu Boden doch der lies sich nicht unterkriegen und verpasste Glossi einen schweren Schlag ins Gesicht. Dieser zahlte ihm den Schlag jedoch in seiner unglaublichen Raserei zurück indem er den Hals des Gegenübers fest umklammerte und den wütend um sich schlagenden Petschenegen solange würgte bis schließlich dessen Genick brach.
Er ließ sich erschöpft zurückfallen, und blickte nach links und rechts, die Harsumer gewannen nach und nach die Übermacht im Kampf, die Petschenegen waren besiegt. Glücklich und in dem Bewusstsein, dass die Stadt sicher war und schloss die Augen.
Ich bin mir sicher, dass er dann von den Walküren geholt wurde, die ihm endlich den Wunsch erfüllten, auf dessen Erfüllung er seit seiner Verbannung aus Harsum gewartet hatte und ihn mit nach Valhall nahmen.

Doch wenn du jetzt glaubst, dass das das Ende von den Abneigungen zwischen Harsum und Östanby waren, dann hast du falsch geglaubt.
Glossis Sohn warf dem Jarl, in einem Anfall blinder Wut und geblendet von der Trauer um den Tod seines Vater, vor viel zu langsam marschiert zu sein, sodass für jeden Tag den er zu viel gebraucht hatte, Menschen gestorben sind.

Wütend über diese Beleidigung und in dem Willen nie wieder den Östanbyern zur Hilfe zu eilen zog der Jarl mit seinen Leuten nach einigen Tagen Rast wieder zurück, ohne an dem Begräbnis Glossis teilzunehmen.
Bis sich das Verhältnis wieder etwas beruhigt hatte, mussten fast hundert Sommer ins Land ziehen bis zum Ende des zweiten Petschenegensturms in Harsum während dem erste vorsichtige Kontakte zwischen Östanby und Harsum geknüpft wurden. Aber das ist eine andere Geschichte, jetzt leg dich lieber erst mal hier unter die Schafsfelle und auf das Stroh. Du siehst erschöpft aus und solltest besser erst mal schlafen, in dem Wissen, dass du hier vor Petschenegen sicher bist.